Familienpflegezeit - Verbesserung des Status Quo

· Stellungnahmen · Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit
von Familie, Pflege und Beruf (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.10.2014)

 

I. Zusammenfassende Würdigung

1. Verbesserung des Status quo

Der Familienbund begrüßt den „Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ insofern, als er eine Verbesserung gegenüber der bestehenden Rechtslage darstellt. Die neugeregelten Rechtsansprüche sind ein Fortschritt. Insbesondere ist positiv hervorzuheben, dass es künftig einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit geben soll, der den Beschäftigten ermöglicht, bis zu 24 Monate in Teilzeit (mindestens 15 Stunden pro Woche) zu arbeiten, um einen pflegebedürftigen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen. Begrüßt wird, dass dieser Rechtsanspruch und die Ansprüche auf Pflegezeit künftig bei minderjährigen pflegebedürftigen Angehörigen auch dann bestehen sollen, wenn die Minderjährigen außerhäuslich betreut werden. Ebenso ist zu begrüßen, dass in Zukunft ein Rechtsanspruch bestehen soll, bis zu drei Monate aus dem Beruf auszusteigen, um einen im Sterben liegenden Angehörigen in seiner letzten Lebensphase zu begleiten.

In die richtige Richtung geht zudem, dass die gesetzlichen Möglichkeiten, anlässlich eines Pflegefalls in der Familie vorübergehend (ganz oder teilweise) aus dem Beruf  auszusteigen,  um Regelungen ergänzt wurden, die kurzzeitig eine teilweise Kompensation des Einkommensverlustes der Pflegenden vorsehen: Wer anlässlich eines akut aufgetretenen Pflegebedarfs eines Familienangehörigen bis zu zehn Tage aus dem Beruf aussteigt, um eine angemessen Pflege zu organisieren, erhält in Zukunft mit dem Pflegeunterstützungsgeld eine Lohnersatzleistung, die dem Kinderkrankengeld entspricht und ungefähr 90 % des Nettogehalts beträgt.
Wer in derselben Situation bis zu sechs Monate ganz oder teilweise aus dem Beruf aussteigt, um einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen, erhält vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ein zinsloses Darlehen, das grundsätzlich die Hälfte des Einkommensverlustes kompensiert.

Ein Anspruch der Beschäftigten auf ein solches zinsloses Darlehen soll künftig auch bei der bis zu 24-monatigen Familienpflegezeit bestehen. Dies stellt gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage, in welcher der Beschäftigte vom Arbeitgeber eine zurückzuzahlende Entgeltaufstockung erhält, die der Arbeitgeber über ein staatliches Darlehen refinanziert, eine Vereinfachung und für den Arbeitgeber eine Erleichterung dar, da dieser nun nicht mehr am Verfahren beteiligt ist. Auch dies ist zu begrüßen.

 

2. Wesentliche Kritikpunkte

Mit den neugeschaffenen Rechtsansprüchen, dem Pflegeunterstützungsgeld und den Darlehensmöglichkeiten für den Fall des (teilweisen) Berufsausstiegs hat der Gesetzgeber langjährige Forderungen des Familienbundes und anderer Familienverbände aufgegriffen und teilweise umgesetzt. Die Neuregelung ist jedoch bei Weitem nicht ausreichend.
Zu kritisieren ist, dass die Höchstdauer der Familienpflegezeit lediglich 24 Monate beträgt und dieser Zeitraum auch bei einer Kombination von Pflege- und Familienpflegezeit nicht überschritten werden darf (sog. Gesamtdauer von 24 Monaten). Denn im Durchschnitt dauern Pflegeverläufe (gerechnet ab den ersten Beeinträchtigungen) 8,2 Jahre* und somit erheblich länger. Der Familienbund wendet sich insbesondere auch dagegen, dass  Beschäftigte die ihnen gewährten Darlehen vollständig zurückzahlen müssen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass Familien durch die Pflege von Angehörigen die Gesellschaft entlasten, die ansonsten in der Pflicht wäre, für eine menschenwürdige Pflege ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu sorgen. Auch ist die Rückzahlungsfrist zu kurz (Rückzahlung innerhalb von 48 Monaten nach Beginn der Freistellung), woraus sich zu hohe Darlehensraten ergeben, die Familien erheblich und unangemessen belasten.

Bei der Pflegezeit führt die Deckelung der monatlichen Darlehensraten zu einer unzureichenden Kompensation des Einkommensverlustes. Dass Beschäftigten in Kleinbetrieben generell die Ansprüche auf Pflege- und Familienpflegezeit versagt werden (sog. Kleinbetriebsklausel), stellt eine einseitige Interessenabwägung zugunsten der Arbeitgeber dar. Diese könnten auch durch ein Widerspruchsrecht geschützt werden, das die Geltendmachung von betrieblichen Gründen und gerechte Lösungen im Einzelfall ermöglichen würde.
Der Familienbund ist der Auffassung, dass der Gesetzentwurf zwar viele positive Ansätze beinhaltet, aber dennoch die Rahmenbedingungen der familiären Pflege nicht grundlegend verbessert. Der „große Wurf“ ist nicht gelungen. Es wäre wünschenswert, die Regelungen des Pflege- und Familienpflegezeitgesetzes in einem einzigen Gesetz übersichtlich zusammenzuführen, die tatsächliche Dauer von Pflegeverläufen zu berücksichtigen und zugleich eine echte Lohnersatzleistung entsprechend dem Elterngeld zu regeln.

Pflegende sollten nicht bereits ab dem elften Tag nach Eintritt des Pflegefalls auf ein Darlehen angewiesen sein, da sich durch die Rückzahlungsverpflichtung mittelfristig sehr hohe finanzielle Belastungen ergeben können. Es muss das Ziel sein, der Sorgearbeit am Ende des Lebens denselben Stellenwert beizumessen wie derjenigen am Anfang. Nur über eine echte Lohnersatzleistung kann eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf erreicht werden. Diese ist die Voraussetzung für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Wahlfreiheit von Eltern, ohne äußere Zwänge über die Verteilung der Erwerbs-, Haus- und Sorgearbeit zu entscheiden. (*Ulrich Schneekloth & Hans Werner Wahl (Hrsg.): Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in privaten Haushalten (MuG III), München 2005, S. 73)

II. Kritik im Einzelnen

1.  § 2 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E (Höchstdauer von 24 Monaten)

§ 2 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E regelt, dass die Höchstdauer der Familienpflegezeit 24 Monate beträgt. Der Familienbund fordert, diese Höchstdauer zu verlängern. Angeregt wird eine Höchstdauer von 36 Monaten entsprechend der Höchstdauer der Elternzeit.

Begründung: Pflegeverläufe dauern im Durchschnitt erheblich länger als 24 Monate. Gerechnet ab den ersten Beeinträchtigungen ist von durchschnittlich 8,2 Jahren auszugehen.*  Die Höchstdauer von 24 Monaten wird also der Wirklichkeit nicht gerecht und muss verlängert werden. Sinnvoll wäre eine Höchstdauer von 36 Monaten entsprechend der Höchstdauer der Elternzeit, da dies deutlich machen würde, dass der Sorgearbeit am Ende des Lebens derselbe Stellenwert beigemessen wird wie derjenigen am Anfang.

(*Ulrich Schneekloth & Hans Werner Wahl (Hrsg.), aaO.)

2.  § 2 Abs. 2 FPfZG-E, § 4 Abs. 1 Satz 4 PflegeZG-E (Gesamtdauer von 24 Monaten)

§ 2 Abs. 2 FPfZG-E und § 4 Abs. 1 Satz 4 PflegeZG-E regeln übereinstimmend, dass Beschäftigte auch bei einer Kombination von Pflegezeit (maximal 6 Monate) und Familienpflegezeit (maximal 24 Monate) höchstens 24 Monate (teilweise) von der Arbeit freigestellt werden können (sog. Gesamtdauer). Der Familienbund fordert, die Gesamtdauer von 24 Monate zu streichen und eine Addition der Pflegezeit- und Familienpflegezeitmonate zu ermöglichen.

Begründung: Pflegeverläufe dauern im Durchschnitt erheblich länger als 24 Monate (s.o.). In einem ersten Schritt sollte jedenfalls ermöglicht werden, die Pflegezeit und die Familienpflegezeit jeweils vollumfänglich zu nehmen, was zu einer Gesamtdauer von 30 Monaten führen würde.

3. § 6 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E (vollständige Rückzahlung des Darlehens)

§ 6 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E regelt, dass Beschäftigte das Darlehen vollumfänglich zurückzahlen müssen. Der Familienbund fordert, dass der Staat einen angemessenen Teil der Kosten trägt. Es muss eine echte Lohnersatzleistung entsprechend dem Elterngeld geschaffen werden.

Begründung: Dies entspricht einem gerechten Lastenausgleich. Familien erbringen durch die Pflege eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft und entlasten diese. Würde keine familiäre Pflege erfolgen, wäre der Staat in der Pflicht, für eine menschenwürdige Pflege seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger zu sorgen. Es ist daher nicht gerecht, dass die Kosten der Pflege praktisch vollständig privatisiert werden. Nur durch eine angemessene Übernahme der Pflegekosten durch den Staat, bringt dieser Anerkennung und Wertschätzung für die Übernahme von Pflegeverantwortung zum Ausdruck.
Nur eine gerechtere Verteilung der Pflegekosten wird zu einer tatsächlichen Inanspruchnahme der Familienpflegezeit führen. Bei der gegenwärtig geplanten Regelung ist absehbar, dass weiterhin nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung die Familienpflegezeit nutzen wird. Dass die Familienpflegezeit bisher nur in sehr geringem Umfang in Anspruch genommen wurde (weniger als 200 Anträge im Jahr 2012), lässt sich nicht allein mit dem bisher fehlenden (und jetzt geplanten) Rechtsanspruch erklären. Dies zeigt das Beispiel der Deutschen Post: Von 110.000 Beschäftigten sind im Jahr 2012 gerade einmal drei Arbeitnehmer(innen) in Familienpflegezeit gegangen, obwohl die Post betriebsintern einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit vereinbart hatte. (Vgl. Die Tageszeitung vom 29. Dezember 2012, „Gesetz jenseits der Wirklichkeit“, online abrufbar unter http://www.taz.de/!108165/.)
Wenn die Familienpflegezeit nicht in Anspruch genommen wird, werden sich auch die mit dem Gesetz verfolgten Ziele nicht verwirklichen lassen. Beschäftigte – derzeit in  der Regel Frauen – werden bei einem Pflegefall in der Familie weiterhin voll aus dem Beruf aussteigen. Dies bringt negative Folgen für ihre berufliche Weiterentwicklung und Altersversorgung mit sich, die das Gesetz eigentlich vermeiden will.  Ebenso werden die voll aus dem Beruf ausgestiegenen Beschäftigten ihren Betrieben nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Ziel des Erhalts von Fachkräften, das in Zeiten drohenden Fachkräftemangels immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird nicht erreicht werden.
Zudem haben die Erfahrungen mit dem Elterngeld gezeigt, dass eine Beteiligung von Männern an Care-Aufgaben (nur) dann erfolgt, wenn die Männer eine angemessene Lohnersatzleistung erhalten. Die Familienpflegezeit muss also auch aus Gleichstellungsgründen attraktiver gemacht werden. Solange die Pflege ganz überwiegend von Frauen geleistet wird, besteht auch die Gefahr, dass der Anspruch auf Familienpflegezeit zu einer Diskriminierung von Frauen bei der Einstellung führt.
Zudem geht es auch um eine Gleichbehandlung aller Care-Aufgaben. Sorgearbeit am Anfang und am Ende des Lebens müssen gleichbehandelt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso sich der Staat bei der Übernahme von Care-Aufgaben für Kleinkinder in der  finanziellen Mitverantwortung sieht (z.B. Elterngeld), sich bei der Übernahme von Care-Aufgaben für pflegebedürftige Angehörige dagegen weitgehend entzieht.
Schließlich darf keine Überforderung finanziell schwacher Familien erfolgen. Die vollständige Rückzahlung des Darlehens stellt eine große Belastung dar, die Familien der unteren und mittleren Einkommensschichten kaum bewältigen können.

4.  § 6 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E (Rückzahlung des Darlehens im Anschluss an die Pflege- oder Familienpflegezeit innerhalb von 48 Monaten nach Beginn der Pflege- oder Familienpflegezeit)

§ 6 Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E regelt, dass Beschäftigte das Darlehen im Anschluss an die Pflege- oder Familienpflegezeit innerhalb von 48 Monaten nach Beginn der Pflege- oder Familienpflegezeit zurückzahlen müssen. Der Familienbund fordert die Rückzahlungsfrist zu verlängern.

Begründung: Die Rückzahlung des Darlehens stellt eine erhebliche Belastung für Familien dar. Je kürzer die Rückzahlungsfrist ist, desto höher sind die monatlichen Raten. Da die 48-Monatsfrist ab Beginn der (Familien-)Pflegezeit gerechnet wird, muss die Rückzahlung nach einer 24-monatigen Familienpflegezeit innerhalb von 24 Monaten erfolgen. Das ist viel zu kurz. Wenn man schon von den Familien verlangt, die Kosten der Pflege fast vollständig selbst zu tragen (was zu ändern ist, s.o.), muss der Staat ihnen wenigstens bei den Rückzahlungsmodalitäten deutlich entgegenkommen. Ansonsten bleibt die Familienpflegezeit weiterhin eine unattraktive und unrealistische Option. Es geht auch in diesem Punkt um einen gerechten Lastenausgleich, um die Anerkennung gesellschaftlich wertvoller Sorgearbeit, um die Sicherstellung der tatsächlichen Inanspruchnahme der Familienpflegezeit, die auch der beruflichen Weiterentwicklung der Pflegenden, deren Altersversorgung, der Geschlechtergerechtigkeit und dem Erhalt von Fachkräften dient, sowie um die Vermeidung einer Überforderung von finanziell schwachen Familien. Die Härtefallregelung des § 7 Abs. 1 FPfZG-E (Möglichkeit der Stundung) ist nicht ausreichend, da diese das Vorliegen einer „besonderen Härte“ voraussetzt und daher nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen Anwendung findet.



5. § 2a Abs. 1 Satz 3 FPfZG-E und § 3 Abs. Abs. 3 Satz 3 PflegeZG-E (Fiktion der Ankündigung von Pflegezeit bei nicht eindeutiger Ankündigung)

§ 2a Abs. 1 Satz 3 FPfZG-E und § 3 Abs. Abs. 3 Satz 3 PflegeZG-E  regeln, dass in den Fällen, in denen sich der Ankündigung der Beschäftigten nicht eindeutig entnehmen lässt, ob Familienpflegezeit oder Pflegezeit gewünscht ist, und in denen die Voraussetzungen beider Freistellungsmöglichkeiten vorliegen, von einer Ankündigung von Pflegezeit auszugehen ist. Der Familienbund fordert, dass Beschäftigten die Möglichkeit eingeräumt wird, die Wirkung dieser Fiktion innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen und auf Familienpflegezeit umzustellen.

Begründung: Durch die unwiderrufliche gesetzliche Fiktion werden die Optionen der Beschäftigten ohne Not eingeschränkt und deren Wille missachtet. Es ergäben sich keine größeren verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, wenn die Beschäftigten die Wirkung der Fiktion innerhalb einer angemessenen Frist entsprechend ihrem eigentlichen Willen revidieren könnten. Andererseits stellt die gegenwärtige Regelung einen erheblichen Nachteil für die Beschäftigten dar. Wenn diese gegen ihren eigentlichen Willen auf Pflegezeit festgelegt bleiben, haben sie nicht die Möglichkeit, im Falle eines später auftretenden erhöhten Betreuungsbedarfs ganz aus dem Beruf auszusteigen, da die Pflegezeit bereits verbraucht ist und die Familienpflegezeit nur einen teilweisen Ausstieg aus dem Beruf ermöglicht. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich Pflegeverläufe in der Regel verschärfen, nicht sachgerecht.



6. § 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 FPfZG-E (Ankündigungsfrist von drei Monaten bei Familienpflegezeit im Anschluss an Pflegezeit)

§ 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 FPfZG-E regelt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Familienpflegezeit spätestens drei Monate vorher ankündigen müssen, wenn sie diese im Anschluss an die Pflegezeit nehmen wollen (die generelle Ankündigungsfrist für die Familienpflegezeit beträgt hingegen gem. § 2a Abs. 1 Satz 1 FPfZG-E acht Wochen). Der Familienbund fordert, auf die Einführung einer für eine bestimmte Fallkonstellation geltenden Sonderfrist zu verzichten und es für die Ankündigung von Familienpflegezeit in allen Fällen bei der 8-Wochen-Frist zu belassen.

Begründung: Eine solche Dreimonatsfrist  ist praxisfern, da sie nicht der Wirklichkeit von Pflegeverläufen entspricht. Diese sind in hohem Maße von Unsicherheiten und plötzlichen Veränderungen – Verbesserungen und Verschlechterungen – des Gesundheitszustands der Pflegebedürftigen geprägt. Ebenso wie die Pflegenotwendigkeit häufig plötzlich auftritt, lässt sich nicht langfristig absehen, ob und in welchem Umfang eine Person pflegebedürftig bleibt. Lange Ankündigungsfristen verhindern eine dem Einzelfall angepasste Beantragung der Familienpflegezeit, die im Interesse aller Beteiligter liegen sollte. Das Interesse der Arbeitgeber an hinreichender Planungssicherheit ist mit der auch sonst bei der Familienpflegezeit geltenden 8-Wochen-Frist hinreichend berücksichtigt. Bei der Elternzeit wird sogar eine 7-Wochen-Frist als angemessener Ausgleich von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen angesehen (§ 16 Abs. 1 S. 1 BEEG), obwohl die Planbarkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier deutlich größer ist als bei Pflegefällen.
Schließlich dürfen keine zu komplizierten Regelungen geschaffen werden. Es muss gewährleistet sein, dass die Regelungen von allen Familien verstanden und fehlerlos angewendet werden können. Hierfür bedarf es einer einheitlichen Frist von 8 Wochen für die Ankündigung von Familienpflegezeit.



7. § 3 Abs. 4 FPfZG-E (Begrenzung der Darlehensrate bei Pflegezeit)

Grundsätzlich kompensieren die bei der Inanspruchnahme von Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit gewährten monatlichen Darlehensraten die Hälfte des durch die Arbeitsreduzierung entstandenen Einkommensverlustes (vgl. § 3 Abs. 2 und Abs. 3 FPfZG-E). § 3 Abs. 4 FPfZG-E regelt jedoch für die Pflegezeit eine Begrenzung („Deckelung“) des monatlich ausgezahlten Betrages: Auch bei einem vollständigen Berufsausstieg wird höchstens der Betrag ausgezahlt, der im Rahmen einer Familienpflegezeit mit der Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden ausgezahlt würde. Der Familienbund fordert, die Begrenzung („Deckelung“) der Darlehensrate bei der Pflegezeit zu streichen.

Begründung: Aufgrund der Begrenzung der Darlehensrate liegt keine ausreichende Kompensation des Einkommensverlustes mehr vor. Wer vollständig aus dem Beruf aussteigt, um einen Angehörigen zu pflegen, muss nach dieser Regelung auf etwa 70 Prozent seines Einkommens verzichten. Das verbleibende Einkommen wird in aller Regel nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bewältigen. Die Gesetzesbegründung führt aus, die Begrenzung der monatlichen Darlehensrate diene „auch dem Schutz der Beschäftigten vor einer zu hohen finanziellen Belastung in der Rückzahlungsphase“* . Das ist zynisch. Es gibt andere und bessere Wege, die Beschäftigten zu schützen, etwa einen Teilerlass der Darlehensschuld oder einen längeren Rückzahlungszeitraum und geringere Rückzahlungsraten.

(*Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.10.2014), S. 40.)

8. § 7 Abs. 2 FPfZG-E (Härtefallregelung)

§ 7 Abs. 2 FPfZG-E regelt, dass der Darlehensnehmerin bzw. dem Darlehensnehmer für den über die Gesamtdauer von 24 Monaten hinausgehenden Zeitraum, in dem die Pflegesituation fortbesteht und weiterhin nur in Teilzeit gearbeitet wird, die restliche Darlehensschuld auf Antrag zu stunden ist, sofern eine besondere Härte vorliegt. Der Familienbund fordert, die Rückzahlungspflicht für diesen Zeitraum der fortbestehenden Pflegesituation generell zu stunden und auf die zusätzliche Voraussetzung einer besonderen Härte zu verzichten.

Begründung: Wer nur in Teilzeit arbeitet und eine(n) Angehörige(n) pflegt, ist finanziell nicht in der Lage, Rückzahlungsraten zu leisten. Der Gesetzgeber muss die wahre Länge von Pflegeverläufen wenigstens insofern berücksichtigen, als er für den Zeitraum der fortbestehenden Pflegesituation generell auf die Darlehensrückzahlung verzichtet. Durch das Erfordernis der besonderen Härte bliebe die Stundung auf enge Ausnahmekonstellationen beschränkt.

9. § 2 Abs. 1 S. 4 FPfZG-E, § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG (Kleinbetriebsklausel)

Nach § 2 Abs. 1 S. 4 FPfZG-E und § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG bestehen die Ansprüche auf Pflegezeit und Familienpflegezeit nicht in Kleinbetrieben, in denen in der Regel 15 oder weniger Beschäftigte tätig sind. Der Familienbund fordert, die Kleinbetriebsklausel zu streichen und die Arbeitgeber dieser Betriebe durch ein Widerspruchsrecht zu schützen.

Begründung: Der Familienbund ist der Meinung, dass bei Kleinbetrieben eine Sondersituation vorliegt, die der Gesetzgeber berücksichtigen kann. Kleinbetriebe haben oft besondere Schwierigkeiten, eine adäquate Übergangslösung zu organisieren, wenn eine Arbeitskraft vorübergehend ersetzt werden muss. Dennoch ist es nach Ansicht des Familienbundes nicht erforderlich, den in Kleinbetrieben Beschäftigten die Ansprüche auf Pflegezeit und Familienpflegezeit generell zu versagen. Die Arbeitgeber dieser Kleinbetriebe sollten vielmehr durch ein Widerspruchsrecht geschützt werden. Sie sollten den Beschäftigten entgegenhalten können, dass die konkrete betriebliche Situation eine Pflege- oder Familienpflegezeit nicht zulässt. Außerdem könnten die Arbeitgeber dadurch geschützt werden, dass die Arbeitszeit in Kleinbetrieben nur in einem geringeren Umfang oder nur für einen kürzeren Zeitraum reduziert werden kann. Auch in Kleinbetrieben darf die Interessenabwägung nicht einseitig zugunsten der Arbeitgeber erfolgen. Ohne eine Streichung der Kleinunternehmerklausel wird einem erheblichen Teil der Beschäftigten von vorneherein und ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls der Anspruch  auf Pflege- und Familienpflegezeit versagt. Bundesweit arbeiten 18 Prozent aller Beschäftigten in Kleinstunternehmen (bis zu neun Mitarbeiter) und 22 Prozent in kleinen Unternehmen (bis zu 49 Mitarbeiter).* Die Wirksamkeit des Gesetzes ist damit von vorneherein deutlich begrenzt.

 

10. § 7 Abs. 3 PflegeZG-E (Begriff des nahen Angehörigen)

§ 7 Abs. 3 PflegeZG-E erweitert den Begriff des „nahen Angehörigen“ auf Stiefeltern, Schwäger(innen) und lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften. Der Familienbund fordert, auch Tanten und Onkel, Nichten und Neffen sowie Cousinen und Cousins in die Definition des „nahen Angehörigen“ einzubeziehen.

Begründung: Gerade in den oben genannten Verwandtschaftsverhältnissen bestehen häufig sehr enge Beziehungen. Diese sind oft ebenso stark wie diejenigen zu den Großeltern, die schon immer von der Definition des „nahen Angehörigen“ erfasst wurden. Bei Christen stehen Tanten und Onkel einerseits und Nichten und Neffen andererseits häufig im  Verhältnis ‚Pate und Patenkind‘. Dieses Verhältnis beinhaltet eine enge, persönliche Verbindung. Es ist daher sachgerecht den Begriff des nahen Angehörigen zu erweitern.